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HEAVEN 17 - Technokraten Pop

Fachblatt MusikMagazin 04April1987 - Von Steve Lake

Glenn Gregory ist der Frontmann von Heaven 17 - insofern man diesen Begriff überhaupt anwenden kann auf eine Band, die bis in jüngster Vergangenheit nie live auftrat -, ein großer, lässiger Typ mit nahezu albino-blondem Haar, der sich selbst als „unheilbar faul" bezeichnet.

Und das scheint auch zu stimmen: Während der sechs Jahre, die Heaven 17 nun zusammen sind, wird Glenn im ganzen. vielleicht einen halben Tag gesungen haben. Man kann wohl sicher sein, daß ein eingefleischter Fan von Heaven 17 ihre Songs besser kennt als Glenn. „Ich schätze, ich habe bis jetzt keinen unserer Songs öfter als fünf Mal gesungen, " bemerkt er lachend. „Es ist schon merkwürdig, aber ich mache nie Gesangsübungen oder so. Manchmal bim ich selbst überrascht, wenn ich mir klar mache, daß ich ein erfolgreicher Sänger bim. Und bald schon, nachdem ein Album herausgekommen ist-ich denke, das geht jeder Band so - kommst du am dem Punkt, wo du denkst: ,Okay, ich weiß, daß es eine sehr gute Platte ist, aber ich kann's nicht mehr hören!"'

Glenn Gregory nimmt die vielleicht seltsamste Position in einer „Gruppe" ein, die die Entwicklung der Studiotechnologie und von Synthesizern und Computern so weit vorangetrieben hat wie kaum eine andere in den 80ern. Keiner in diesem Trio - weder Martyn Ware, noch Ian Craig Marsh, noch Glenn - ist in herkömmlichem Sinne in der Lage, auf irgendetwas eine Melodie zu spielen. Aber Ware und Marsh haben sich zu hervorragenden Kennern der Synthesizer-Szenerie entwickelt. Und so sind denn auch die Dinge, die sie über Fairlight Sampling und Programming nicht wissen, schlichtweg unerheblich. Zudem haben sie sich im Laufe der Jahre zu wahren Meistern darin entwickelt, ihre Konzepte einem Team professioneller Musikergesellen zu vermitteln, die sie dann musikalisch realisieren. (Keyboarder Nick Plytas, Gitarrist Ray Russell und seit kurzem Drummer Preston Heyman haben alle wesentlich zum Heaven 17-Sound beigetragen.) Die Tatsache, daß sie sich immer noch behaupten und die Qualität ihrer Platten sind ein Beweis dafür, daß der inspirierte Amateur oft musikalische Lösungen entwickeln kann, auf die ein Profi nie käme.

Die Ängste des Sängers

Ihr kürzlich erschienenes Remix ihres ganzen Backrepertoires, das den beziehungsvollen Titel «Endless» trägt und nur als Compact Disc oder Cassette erhältlich ist, bietet elektronischen Pop, der mit Tiefe und Ideen überrascht. Songs wie «Crushed By The Wheels Of Industry» werden Bestand haben, eher jedenfalls als irgendetwas von Human League-Heaven 17 war ursprünglich ja eine Splittergruppe dieser Band.

Die Abneigung von Ware und Marsh gegen Konzerte liegt darin begründet, daß sie kein Instrument spielen können; vom Sänger würde man da eine etwas andere Einstellung erwarten. Immerhin ist seine musikalische Ausdrucksform eine mehr unmittelbare, braucht er doch nicht mehr zu tun als seinen Mund aufzumachen. Wie der Zufall es will, hatte Glenn gerade vor kurzem erst einen Gig. Seinen ersten großen Auftritt als Sänger, sieht man von jener Playback-Tour ab, die Heaven 17 früher einmal machten. Auf einem Konzert in Bradford hatte er sich mit dem britischen linksgerichteten Kollektiv Red Wedge zusammengetan und einen Song gesungen. Von Paul Weller's Gitarre und den Backing Vocals von Style Council unterstützt, sang er «(We Don't Need This) Fascist Groove Thang». Glenn: „lch lief mit dem Text in der Hand hinter der Bühne herum und dachte, warum bin ich nicht viel nervöser? Müßte ich nicht nervös sein-', und dann trat ich als Überraschungsgast auf die Bühne und war selbst überrascht, daß irgendjemand mich kannte. Das ganze Publikum rief, Fascist Groove Thang! Fascist Groove Thang! , zu unserem Glück, denn das war der einzige Song, den wir geprobt hatten! Aber nachdem ich das einmal gemacht habe, verspüre ich überhaupt keinen Drang, es noch einmal zu machen. So viel auf Tour zu gehen hat mit Singen gar nichts zu tun, man sitzt nur in Bussen herum und stopft diese fürchterliche Autobahnkost in sich rein. " Gregory sagt das alles mit einem leisen Kichern. Man kann sich schwer vorstellen, was ihn überraschen oder aus der Fassung bringen könnte. Er hat weniger Geld verdient als die anderen, wenn er zugegebenermaßen auch 10.000 Pfund auf der Bank hat. („Nicht gerade ein Vermögen, oder ?) Martyn Ware steht am besten da, vor allem wegen seiner Produktionsarbeit für Tina Turner; außerdem haben beide, Ware und Ian Craig Marsh, von ihrem Abschied von Human League profitiert. Es wurde ihnen ein Prozent des Verkaufsgewinns des nächsten League-Albums zugestanden. Es war «Dare», eines der bestverkauften Pop-Alben der 80er. Glenn Gregory hates mit seinen Back-Up Vocals für Midge Ure und Propaganda's Claudia nur zu einem kleinen Sparvermögen gebracht, aber das kümmert ihn nicht. Während Martyn Ware zwischen vier Computern und einer gigantischen Video- und CD-Sammlung sitzt, kann Glenn lediglich einen Fernsehapparat und ein kleines AM-Transistorradio sein Eigentum nennen, darauf beschränkt sich sein alltäglicher Umgang mit Technologie. ,,Ich gehe sehr gern zu Martyn und spiele mit all seinen Sachen, aber ich würde mich nie selbst mit diesem Kram einengen wollen. Ich habe noch nie viel besessen. "

Computer statt Instrumente

Bislang kamen auf den Alben von Heaven 17 vor allem der Roland Jupiter 4 Synthesizer und der Jupiter 8 zum Einsatz, wenn auch das Album «How Men Are» fast ganz vom Fairlight MC1 bestimmt war, ohne daß man allerdings auf die immer präsente Linn Drum verzichtet hätte. Aber nachdem sie ihre neueste Ausrüstung über eine Zeitspanne von zwei Jahren zwischen sieben Studios hin- und hergeschleppt hatten, haben sie schließlich nahezu alle elektronischen Bestandteile ihrer Musik verschrottet. Nachdem lediglich ein Emulator übriggeblieben war, haben sie zusammen mit einer kompletten Band professioneller Musiker innerhalb von drei Tagen alle 14 Tracks neu eingespielt, wobei Heaven 17 als „drei Dirigenten fungierten. Ein Riesenspaß. " Richtige Instrumente? Das heißt also, ihr werdet demnächst live arbeiten? Glenn zuckt zusammen. „Ich glaube kaum. Sicher könnten wir es diesmal. Aber es wird mit Sicherheit nicht dazu kommen. "